Los Nr. 82 – Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft

Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft, Gründeraktie von 1872

Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft

Los Nr. 82
Schätzpreis: 1.500,00 EUR
Startpreis: 325,00 EUR
Actie 200 Thaler, Nr. 1377
Berlin, 1.11.1872
Erhaltung: EF
Gründeraktie, Auflage 6.000 (R 8). Die Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft ist ein Zwilling, von den gleichen Initiatoren gegründet und untrennbar verbunden mit der Cuxhavener Eisenbahn-, Dampfschiff- und Hafen-AG. Jahrzehntelang wartete Cuxhaven vergeblich auf die Eisenbahn. Nur im Süden, zwischen Bremen und Bremerhaven, war das Kreisgebiet seit 1862 von der Hannöverschen Staatsbahn erschlossen worden. 1866 beschloß die Hannöver’sche Regierung den Bau der Eisenbahn Harburg-Stade. Diese Pläne vereitelte der im gleichen Jahr beginnende preußisch-österreichische Krieg, dessen Ausgang den Untergang des Königreichs Hannover bedeutete. Die Frage einer unterelbischen Eisenbahn wurde nun nicht mehr in Hannover, sondern im Preussischen Abgeordnetenhaus entschieden. Am 5.2.1872 kam dort ein Gesetzentwurf zur Beratung, der den Bau verschiedener Bahnen aus Staatsmitteln forderte.

Darunter war auch, fußend auf dem Beschluß der Hannöver’schen Regierung von 1866, die Linie Harburg-Stade, die Preußen nun mit einem Aufwand von 3,3 Mio. Thaler ausführen sollte. Da stellte zu dem Eisenbahn-Gesetzentwurf der Abgeordnete Braun-Wiesbaden den Änderungsantrag, den Bau der Eisenbahn Harburg-Stade einer Privatgesellschaft zu übertragen, falls diese die Linie bis Cuxhaven weiterführe und dort einen Hafen errichte. So wurde es beschlossen, und am 25.4./2.5.1872, gründeten Baron Victor von Magnus, Geh. Commerzienrath Paul Mendelssohn-Bartholdy, Reichstagsmitglied Dr. Braun-Wiesbaden, Dr. Julius Faucher, Stadtrath Albert Löwe, Geh. Regierungsrath Dr. Esse, Corvetten-Capitain z.D. Olberg, Gustav Kutter in Berlin; A. N. Zacharias, Rob. M. Sloman, J. E. Langhans (J. Greve & Co.) u.a. die Cuxhavener Eisenbahn-, Dampfschiff- und Hafen-AG. Der Kreis der Gründer strotzte also vor illustren Namen vor allem aus Berliner Finanzkreisen. Deshalb war der juristische Sitz auch in Berlin, wo die AG höchst vornehm in der Voss-Strasse 29/30 residierte.

Ganz zufällig wurde der Reichstagsabgeordnete Braun-Wiesbaden, der die Konzession mit seinem Änderungsantrag im Gesetzgebungsverfahren erst ermöglicht hatte, neben Charles Ernst David einer der zwei Directoren der Gesellschaft und bezog ein fürstliches Gehalt. Ein Kapital von 20 Mio. Thaler sollte nun eingeworben werden. In aller Bescheidenheit nannte der Börsenprospekt das Unternehmen „das großartigste des Jahrhunderts“. Man versprach eine Bahn von Harburg über Stade und Cuxhaven nach Geestemünde sowie den Bau eines auch im Winter stets offenen Seehafens in Cuxhaven mit grossartigen Dampfschiffsverbindungen u.a. nach dem in 27 Stunden zu erreichenden Harwich (London). Tatsächlich wurden statt für 20 Mio. Thaler dann nur Aktien im Nennwert von 8 Mio. Thaler emittiert und auch davon nur 3/4 gezeichnet. Namentlich die Hamburger Presse machte sich darüber lustig, weshalb der Hamburger Senat eine auf 20 Jahre gedachte Subvention von jährlich 60.000 Thaler am Ende nicht gewähren konnte, weil die Bürgerschaft unter dem Einfluß der Presse ihre Genehmigung versagte.

1878 wurde ein Vertrag mit der „Societe belge des chemin de fer“ in Brüssel geschlossen und 1879 allerhöchst bestätigt, wonach die Cuxhavener AG den Bau und Betrieb der Bahn von Cuxhaven über Stade nach Harburg der von den Belgiern mit Sitz in Harburg gegründeten „Unter-Elbe’schen Eisenbahn-Gesellschaft“ übertrug. Deren Kapital bestand zu je 10 Mio. Mark aus Aktien Lit. A und B und aus 3,5 Mio. Mark Aktien Lit. C. Letztere erhielt die Cuxhavener Eisenbahn-, Dampfschiff- und Hafen-AG als Kompensation für die Übertragung aller mit der Bahn zusammenhängenden Vermögenswerte einschließlich der geleisteten Kautionen. Die Unter-Elbesche Eisenbahn eröffnete die 40,4 km lange Bahn Harburg-Stade am 1.4.1881, den 11,3 km langen Abschnitt Stade-Himmelpforten am 1.7.1881 und die volle 104 km lange Strecke bis zum damals zu Hamburg gehörenden Cuxhaven am 1.1.1882.

Die Tätigkeit der Cuxhavener Eisenbahn-, Dampfschiff- und Hafen-AG beschränkte sich fortan auf den Ausbau des Hafens von Cuxhaven. Auch ihre Schwestergesellschaft, die Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft, hatte ihren juristischen Sitz in Berlin, wo beide AG’s in Bürogemeinschaft geleitet wurden. Die Initiatoren machten das Publikum glauben (und glaubten es möglicherweise selbst), in Cuxhaven werde nach Ankunft der Eisenbahn ein ungeheurer Wirtschaftsaufschwung einsetzen, von dem man mit Immobiliengeschäften profitieren müsse. Dazu Otto Glagau in seinem 1877 erschienenen Werk über den Börsen- und Gründungsschwindel: „Die Mitgründer (der Cuxhavener Eisenbahn) Hagenah, Schön, Langhans sowie Director David componirten auch noch in Verbindung mit R. A. Seelig und Eduard Stahlschmidt (Hermann Geber) die Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft, eine Filiale der vorigen (Cuxhavener Eisenbahn), um in den neuen Weltstädten Cuxhaven und Ritzebüttel Geschäftshäuser, Hotels etc. zu errichten. Zu diesem Zwecke ließ Herr Hagenah, der General-Entrepreneur der Bahn Stade-Cuxhaven, einige Parzellen zu dem enormen Preise von 549.000 Thaler ankaufen, und überantwortete sie für 1.530.000 Thaler, also mit einer Million Aufschlag, an Eduard Stahlschmidt (Hermann Geber), der sie nun wieder der plötzlich aus den Coulissen tretenden Immobiliengesellschaft überließ. Herr Greve, bis dahin Commis bei Hagenah und ein junger Mensch von 25 Jahren, hatte den ersten Ankauf vermittelt und ward jetzt Director der neuen Gesellschaft. Als solcher veröffentlichte er in der Hamburger „Börsenhalle“ die Bilanz pro 1872, in welcher zu lesen stand: „An Immobilien-Conto, Kaufpreis – 1.530.000 Thaler.“ Da ereilte ihn die Nemesis in Gestalt der Staatsanwaltschaft. Was kein Staatsanwalt in Preussen fertig bekommen hat, vollbrachte der Oberstaatsanwalt in Hamburg, Dr. Mittelstädt, und wir bezeigen ihm hiermit unsern Respect. Trotz des famosen Actiengesetzes, ja auf Grund desselben erhob er gegen Director Greve die Anklage wegen „Verschleierung des Vermögensstandes der Gesellschaft“, durch Aufstellung einer unwahren Bilanz. Der wirkliche Kaufpreis der Parcellen war ja nur 549.000 Thaler gewesen – nicht 1.530.000 Thaler, mit welchen man sie den Actionären berechnete. Was kein Gerichtshof, weder in Deutschland noch in Oesterreich, bisher glaubte ahnden zu können: die Umtriebe der Gründer – wir meinen nämlich grosse professionelle Gründer, nicht kleine dilettantenhafte Gründlinge – that kurz und gut das Hamburger Strafgericht. Es verurteilte den Director Greve zu einem Monat Gefängniss, und das Oberappellationsgericht in Lübeck hat diese Sentenz einfach bestätigt. Leider vermochte die Strafe nicht die eigentlichen Attentäter, die Gründer zu erreichen: sie traf nur deren Werkzeug, den jungen Director Greve, der sich nun von einer durch Strohmänner gebildeten Generalversammlung als Märtyrer feiern liess. Mit Recht konnten Greve und seine Vertheidiger behaupten, solche „Verschleierungen“ seien bei den Actiengesellschaften von 1871/72 gang und gebe, solch falsche Bilanzen wären in Deutschland hunderte und tausende publicirt. Aber auch die Ansichten der Richter wechseln, und das Preussische Obertribunal hat bereits entschieden, dass der von den Gründern verschwiegene Profit als Betrug angesehen werden soll. Nun denke man sich einmal, dass dieses Präjudiz zur allgemeinen Anwendung käme – was für ein Schauspiel würden wir dann erleben! Wir würden plötzlich auf der Armensünderbank sehen tausende von reichen und vornehmen Gründern; und in den Gefängnissen würden als blosse Nummern figuriren und in grauen oder gestreiften Drillich umhergehen: Zeitungsschreiber und Zeitungsbesitzer, „Volkswirthe“ und Parlaments-Mitglieder, Geheimräthe und Excellenzen, Edelleute und Grafen, geadelte Börsianer und baronisirte Financiers. O, das wäre ein Schauspiel für Menschen und Götter!“ So weit Glagau in seiner Schilderung, in der sich die ganze Problematik der AG-Gründungen in den Gründerjahren wiederfindet.

Die Cuxhavener Immobilien-Gesellschaft selbst wartete vergeblich auf den Boom, den die Eisenbahn nach Cuxhaven bringen sollte. 1880 standen die Immobilien immer noch mit den alten überhöhten Werten zu Buche, mit der jammervollen Fußnote: „Bei der Unmöglichkeit, die einzelnen Grundstücke zur Zeit in zuverlässiger Weise abzuschätzen, ist der Werth zu Grunde gelegt, zu welchem dieselben laut Vertrag vom 12. Juni 1872 zu Buche stehen.“ Welche Ironie: Diesen Text verfaßte der immer noch amtierende Director Heinrich Greve, nachdem man ihn gerade wegen dieser Überbewertung zuvor in’s Gefängnis geschickt hatte. Große Erträge warf der Grundbesitz nicht ab, wenngleich Greve sich bemühte, wenigstens von dem aufblühenden Fischereihafen zu profitieren und noch ein Eishaus baute. Am Ende reichte der tatsächliche Wert der Besitzungen kaum aus, die darauf liegenden Hypothekenbelastungen abzudecken. 3,6 Mio. Mark Aktienkapital konnten die Aktionäre als verloren abschreiben. Sehr dekorative Gestaltung mit zwei Vignetten eines Uralt-Personenzuges und eines Raddampfers. Maße: 24,6 x 32,7 cm. Mit beiliegendem kompletten Kuponbogen. Nur 15 Stücke wurden 2006 gefunden!

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